Vom »Gut Böckel» zum »Voßholz» in Rödinghausen
(Wanderung Nummer 3)
Treffpunkt für geführte Wanderungen
Vor dem Eingang zum Gut, Rilkestraße 18, Rödinghausen-Bieren
Dauer der Wanderung: etwa 2 Stunden
Strecke: 2,5 Kilometer
(...) „die Landschaft ist eigentlich fremdartig und gleichgültig, nicht Ebene genug, um offen eben zu sein, und in ihren Erhebungen zu wenig organisiert, um durch ein rhythmisches Auf und Ab dem Auge Schwung und Absprung zu bieten. Dazu diese Lage der alten Gutshäuser in den tiefsten, muldigsten Stellen der Gegend, so daß Niederschläge und Regentage mit dem ganzen Gewicht auf ihnen liegen.“ (Rainer Maria Rilke auf Gut Böckel, August 1917)
Erläuterungen zu den Stationspunkten der Wanderung
1. Geschichte Gut Böckel
Das Gut Böckel ist ein uralter Adelssitz. Die ersten Namen der Besitzer sind aus der Mitte des 14. Jahrhunderts bekannt. Seit etwa 1555 gehörte es der Familie von Voß. Victor Heinrich von Voß – in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten – heiratete 1747 die verwitwete Beata Elisabeth von Vincke aus dem benachbarten Gut Waghorst. 1820 verkauften die letzten adeligen Besitzer der Familie von Vincke das Anwesen an den Bürgerlichen Friedrich Gottlieb Köhne für 82.500 Taler. Für großbürgerliche Besitzer war ein Rittergut damals Zeichen ihrer Gleichberechtigung mit dem Adel und ein Symbol ihres gesellschaftlichen Aufstiegs. 1874 erwarb Leopold Koenig, der mit Zuckerhandel in Rußland ein riesiges Vermögen aufgebaut hatte, den ganzen Besitz. Seine Erben verkauften das Gut vor wenigen Jahren an die Familie Leffers, die es heute als landwirtschaftlichen Betrieb bewirtschaftet und viele Gebäudeteile restauriert hat.
2. Wandel der Landnutzung
Bis in die 60er Jahr des 20. Jahrhunderts hinein wurde in erster Linie Milchviehwirtschaft mit viel Grünland betrieben. Daran erinnert die Flurbezeichnung „Kälberbruch“. Auf dem Gelände des Gutes steht noch heute ein großer Kuhstall mit über 80 Plätzen. Nach der Aufgabe der Milchviehwirtschaft wurden fast alle Wiesen und Weiden in Äcker umgepflügt. Zum Gut gehören heute 190 Hektar, die meist mit Weizen bestellt werden. Dazu werden weitere 230 Hektar Pachtflächen bewirtschaftet. Weil die gutseigenen Flächen alle in einem Besitz liegen, entstanden große Ackerschläge mit über 20 Hektar Größe, die für das dicht besiedelte und reich strukturierte Ravensberger Hügelland die Ausnahme bilden.
3. Waldwiesen und Kopfhainbuchen
Wiesen waren früher für jeden Bauernhof ein kostbares Gut. Besonders in trockenen Sommern war es überlebenswichtig, genügend grünes Gras für das Vieh zu haben. Deshalb wurden schon vor langer Zeit gerade in den schmalen Kerbtälern des Ravensberger Landes Wiesen und Weiden angelegt. Der kleine Bachlauf und wasserstauende Schichten im Untergrund sorgten dafür, daß der Boden immer genügend feucht blieb. Früher zog sich der schmale Grünlandzug vom Gut weit hoch ins Voßholz.
Die drei dicken Kopfhainbuchen sind seltene Naturdokumente uralter Wirtschaftsweisen. Sie wurden früher immer wieder in rund zwei Metern Höhe „geköpft“. Das zwang den Baum, viele neue Triebe zu bilden. Diese wurden zum Füttern von Vieh abgeschnitten, zur Laubheugewinnung oder zu anderen Zwecken genutzt.
4. Quellschutz
Zahlreiche Quellen entspringen im Voßholz und speisen Quellbäche, die dem Darmühlenbach zufließen. An etlichen Stellen quert der Rundwanderweg A 2 die Quellbäche, was zu erheblichen Trittschäden führte. Die Artenvielfalt halbiert sich und die Bestandszahlen sinken sogar um 80 – 90%, wenn die natürlichen jahreszeitlichen Wanderbewegungen der Wassertiere unterbrochen werden, sei es durch eine Verrohrung oder durch einen Aufstau. Im Rahmen des Quellschutzprojektes der Biologischen Station wurden einfache Holzbrücken eingesetzt sowie Bauschutt und ein alter Brunnenring entfernt.
5. Erlen-Eschenwald
Auch der schöne Erlen-Eschen-Wald zeigt Spuren früherer Nutzung als Wiese oder Weide: Die meisten großen Bäume sind etwa gleich alt, Reste von Entwässerungsgräben sind im Boden zu erkennen. Ohne Eingriffe des Menschen entwickelt sich hier wieder eine natürliche Waldvegetation nasser Standorte.
6. Voßholz
Das Voßholz ist ein großer zusammenhängender Wald, wie er im waldarmen Kreis Herford nur selten zu finden ist. Natürlicherweise wächst hier ein artenarmer Buchenmischwald, der durch die Menschen über Jahrhunderte hinweg stark verändert wurde. Heute finden wir neben hohen Buchen auch Fichtenbestände unterschiedlichen Alters, einzeln eingestreute Lärchen und Eichen. Als großes Waldgebiet umgeben von freier Feldflur wirkt das Voßholz auch auf seltenere Vogelarten anziehend, wie beispielsweise für den hier brütenden Habicht oder den unauffälligen Kernbeißer. Eine Ansiedlung von Rotmilan oder sogar Kolkrabe ist möglich. Beide Arten wurden in den letzten Jahren mehrfach beobachtet.
7. Erbbegräbnis
Im Zusammenhang mit der allgemeinen Privilegierung der adeligen Rittergüter bestand auf den Adelssitzen Westfalens zumeist ein Patronatsrecht, das dem Gutsherren erlaubte, den Pfarrer zu benennen, am Guts-Standort eine Kirche zu errichten und dort auch mit einem eigenen Hausgeistlichen Gottesdienste zu feiern. Auf Gut Böckel ist eine eigene Kapelle im Erdgeschoß des Ostturms seit mindestens 1768 dokumentiert. Damals war auch ein eigener Hausgeistlicher angestellt. Aus hygienischen Gründen wurden ab 1794 Bestattungen „unter dem Kirchenboden“ – zumeist den Toten adeliger Familien vorbehalten – untersagt. In der Folge wurden abseits vom Familiensitz viele Erbbegräbnisse als Familiengräber eingerichtet (wie zum Beispiel beim Haus Kilver, in Oberbehme und an der Ulenburg). Das Vorrecht zur Unterhaltung einer eigenen Grabstätte war stets an das Gut geknüpft und konnte daher auch vom bürgerlichen Besitzer übernommen werden. Auf dem Erbbegräbnis im Voßholz sind die Angehörigen der Familie Koenig beigesetzt; das Hauptgrab wurde für Hertha Koenig errichtet.
8. Alexander Koenig und Grünspecht
Alexander Koenig (1858 – 1940), Gründer des gleichnamigen weltberühmten Museums in Bonn und Sohn von Leopold Koenig , war ein bekannter Ornithologe und seit frühester Jugend ein leidenschaftlicher Jäger. Er war zwischen 1875 und 1895 mindestens 30 Mal bei seinem Bruder Carl auf Böckel zu Besuch, der das Gut bewirtschaftete. Ausgiebige Jagden, vor allem auf Vögel, fanden während dieser Besuche statt. Der Grünspecht, den Alexander Koenig „in einem ganz anderen Kirchspiel (Schwenningdorf) erlegte just vor einem Bauernhause“, ist bereits bekannt geworden. Viele der von ihm geschossenen Vögel sind bis heute in der Sammlung des Museums in Bonn vorhanden. Über 90 Präparate von mehr als 37 Arten konnten bisher wiedergefunden werden. Das Foto zeigt zwei Eisvögel, die Koenig am 6.9.1883 und am 22.9.1884 an den Gräften des Gutes erlegt hat. „Der patriarchalische uralte Herrensitz Böckel hatte es an sich“, schrieb Alexander Koenig in seiner Autobiografie. „Dumpf und schwer war wohl die Luft, die über dem Ganzen lag, zumal das Haus mit seinem Gehöft gerade in der tiefsten Bodensenkung lag, umgeben von Wiesen, Garten und den umliegenden, aufsteigenden Feldern, aber sie war kräftig, und für einen gesunden Organismus ungemein wohltuend“.
9. Rilke und Hertha Koenig
Die Zeit vom 25.7. bis 4.10.1917 verbrachte der Lyriker Rainer Maria Rilke (1875 – 1926) auf Gut Böckel, auf Einladung der damaligen Gutsherrin Hertha Koenig (1884 – 1976). Den westfälischen Sommer hatte Rilke nicht nur von der sonnigen Seite erfahren: „die zahlreichen Regentage haben dazu beigetragen, daß ich die meiste Zeit in meinen schönen Zimmern zubringe“. Dennoch belegen einige sehr lyrische Briefstellen aus dieser Zeit und Berichte aus den Erinnerungen Hertha Koenigs eine anregende Auseinandersetzung Rilkes mit Phänomenen der ihn umgebenden Landschaft.
Hertha Koenig ist eine heute zu Unrecht vergessene Dichterin, die Lyrik, Romane und Novellen verfasst hat. Rilke widmete ihr seine 5. Duineser Elegie – Zeugnis ihrer langjährigen Freundschaft. Die Literaturkritiker der zwanziger Jahre hielten sie neben Ricarda Huch für die größte deutsche Lyrikerin ihrer Zeit.
10. Park und Gebäude
Die ältesten noch erhaltenen Gebäude auf Böckel sind die Vorburg von 1680 und der heutige Nordflügel von 1682. In ihrer Bauart sind sie typisch für Landsitze des wohlhabenden Adels aus dieser Zeit: Zwar befestigt, aber wohnlich. Karten aus dem 18. Jahrhundert zeigen noch die Wehrhaftigkeit der Anlage mit doppeltem Graben und einem Wall dazwischen und den als Zugbrücken eingerichteten Zufahrten. Carl Koenig ließ 1884 den Westflügel als Wohnhaus im wilhelminischen Stil neu errichten. Es dokumentiert mit Eingangshalle und Festsaal den gründerzeitlichen Wohlstand und Lebensstil.
Der Hamburger Gartenarchitekt Rudolph Jürgens gestaltete in den 1890er Jahren den Garten und den Park. Der rund zwei Hektar große Landschaftspark wird heute von schönen Solitärbäumen geprägt, während der Garten eher von geometrischen Formen gekennzeichnet ist. Die Anlage ist in Privatbesitz und daher nur nach Absprache mit den Eigentümern zugänglich.